Ula Stöckl | Filmemacherin · Professorin | |
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Spielfilm
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Der Schlaf der Vernunft | Ausgezeichnet: Deutscher Filmpreis 1984 |
D 1983/84 Stabliste |
Festivalbeteiligung Ganz nebenbei sind die beiden Töchter von Reinhard und Dea erwachsen geworden, wurde Johanna, die Tochter des Konzernherrn, Deas Assistentin und Reinhards Geliebte. Die alte Mutter von Dea, mit im Haus wohnend, verharrt immer starrköpfiger auf ihren Prinzipien, unterstützt von Dea, für die das bequem ist, unterlaufen von den Enkelinnen, die ganz anders leben wollen. Deas Ahnung, vielleicht in einer Welt zu leben, in der jeden Augenblick unvorhersehbare Katastrophen den Alltag aus aller Routine herausgerissen zum Alptraum machen können, bestätigt sich: der geliebte Mann eröffnet ihr, daß er sie Johannas wegen verlassen wird. Je mehr sie aber darüber nachdenkt, warum Dinge so und nicht anders in ihrem Leben passiert sind, desto mehr verdichtet sich für Dea alles Geschehen zu einem unentrinnbaren Muster aus Ursachen und Folgen, das ihrer Mentalität nach nur durch radikale Entscheidungen verändert werden kann. Maerker: Wie kann man, wenn man fünf Jahre für ein Projekt kämpft, noch soviel Kraft aufrechterhalten, wie sich in dem Film vermittelt? Geht die Energie nicht im Lauf der Zeit verloren? Stöckl: Ich glaube nicht. Das Filmemachen geht nicht so, daß du - sobald du das Geld hast - sofort einen ganzen Kloß produzierst, sondern es geht Schritt für Schritt. Arbeitsgang für Arbeitsgang. Man wird ja auch angesteckt. Man wird angesteckt durch die Tatsache, daß man jetzt ein schönes Motiv hat. Man wird angesteckt durch die Tatsache, daß da plötzlich drei Leute sind, die einem ein Licht setzen, daß man vor Begeisterung in die Knie geht. Oder, daß man einen Kameramann hat der sich wirklich auf das einläßt, was man da machen will. Und daß man überhaupt das Glück hat, wie ich es in dem Fall hatte, mit einem Team konfrontiert zu sein, das diesen Film machen wollte und mit mir arbeiten wollte, denn eins ist wahr: Die Emotionen gehen einem auf einer so langen Strecke irgendwie verloren. Und man kriegt sie dann eigentlich über den Umweg wieder, daß man jetzt nicht nur sich selber nicht enttäuschen darf, sondern auch die Leute nicht, die mit einem arbeiten. Maerker: Kann es nicht auch anders sein: ich finde, daß der Film so reich ist, daß ich mir vorstellen kann, daß im Zuge dieser langen Vorproduktionszeit auch das Buch immer reicher wurde. Oder anders: daß Dea ihre Katastrophe überlebt, weil du deine Katastrophen überlebt hast - und mehr und mehr davon übermitteln konntest. Stöckl: Einen Trost muß es ja auch in der Tatsache geben, daß man älter wird. Und ich sehe einen großen Vorteil darin, älter zu werden, weil es mir in so einer Arbeit dann erlaubt, mich wirklich mit allen Figuren zu identifizieren. Ich war, glaube ich, im Laufe meines Lebens irgendwann einmal jede Figur. Zumindest kann ich mich so in sie hineinversetzen, daß ich sie verstehe. Maerker: Wie schätzt du die nächste Generation ein: da sind die Töchter, die der Mutter in den Rücken fallen - das tut übrigens auch die Mutter der Mutter. Gehen die Kinder einen Schritt zurück? Stöckl: Ich halte das für eine ganz natürliche Reaktion. Da kann ich auch wieder nur sagen, je älter ich werde, desto mehr stelle ich fest, daß eigentlich zu jedem Fortschritt, den man registriert, die Erfahrung gehört, daß in einer ganz bestimmten Bewegung das alles auch wieder nach rückwärts geht. Und nur das Wissen darum, daß im Leben erstmal alles kontinuierlich weiterläuft - wenn auch nicht in der gleichen Schiene - läßt einem eigentlich die Hoffnung, daß es nicht ganz so schlimm ist, wie es im Moment aussieht. Das heißt, wenn jetzt nicht ganz schlimme Ereignisse kommen wie Krieg oder irgend etwas, was das bisher Erfahrene total in Vergessenheit geraten läßt, wie Erfahrungen, die unsere Mütter oder Großmütter gemacht haben, die ja wirklich von unserer Generation erst wieder ausgegraben werden mußten und zwar auf den Verdacht hin, daß es sie geben könnte, dann denke ich, daß so eine Reaktion normal ist. Ich denke dabei auch daran, daß ich als Kind erfahren habe, was Hunger ist und daß ich schon gelernt habe, daß man dieses Wissen nicht von einer anderen Generation verlangen kann, die das nicht kennt. Und deshalb denke ich, darf man nicht anfangen, der Generation, die eine bestimmte Not nicht gekannt hat, die Abwesenheit dieser Not zum Vorwurf zu machen, sondern man muß sich vielleicht viel eher dafür interessieren, was der Motor für deren Handlungsweisen ist. Ich kann mich daran erinnern, daß ich sehr schockiert war, als die Tochter eines Freundes sich bei mir beschwerte, daß es immer die Frauen sein müssen, die daran denken, ob es ein Kind wird oder nicht, wenn sie mit einem Mann zusammen sind. Und ich habe gemerkt, wie ich innerlich schockiert war - ich wollte sie eigentlich beschimpfen, sagen: sei doch froh, wir haben noch nicht einmal die Pille gekannt, - aber ich habe mich noch mitten im Gedanken gebremst, weil ich mir gedacht habe, es ist ja eigentlich wahr. Es stimmt ja, was sie sagt. Und nur, weil es bei uns noch nicht mal die Möglichkeit gab, ist man jetzt fast dabei, ihr zu sagen, sie soll doch dankbar sein. Maerker: Zu Dea: Sie wirft ihrem Mann vor, daß er ihr einst beigebracht habe, daß sie liebenswert sei, und erlebt, daß er ihr genau das wieder entzieht. Sind es wirklich ihre Phantasien allein - eigentlich untypische Frauenphantasien, sehr destruktiv, kriegerisch - die sie mit diesem Entzug fertig werden lassen? Stöckl: Wenn sie sagt, du hast mir beigebracht, daß ich liebenswert bin, dann ist das eigentlich das Ergebnis eines ganz mühsamen, langen Entwicklungsprozesses, der damit anfängt, daß erstmal kaum eine Frau sich selber mag und sich auch nicht vorstellen kann, daß irgend jemand anderes sie lieben könnte. Wenn er diese Leistung wirklich erbracht hat, ihr beizubringen, daß sie liebenswert ist, dann sehe ich darin folgendes: Einmal gibt es wirklich Männer, denen etwas daran liegt, daß Frauen sich auch aus diesem Bild von Unterdrückung befreien, nicht nur aus der Tatsache, sondern aus dem Bild. Und dann denken sie: jetzt ist sie selbständig und braucht mich ja nicht mehr. Es gibt also Männer, die gern sich gleichwertig fühlende Frauen neben sich hätten, aber dieses neben sich verstehe ich wirklich wörtlich. Das sind Frauen, die neben ihnen her selbständig das sind, was sie sind. Aber von denen können sie sich dann ja auch wieder entfernen, denn man hat sie ja lebensfähig gemacht. Auch das wieder - auf einer anderen Ebene - ein Pygmalion-Syndrom. Wie man das überlebt und was das mit der Phantasie zu tun hat? Ich glaube, daß die Überlebensphantasien von Frauen- oder besser: die Rachephantasien von Frauen nicht anders sind als die von Männern. Es ist nur so, daß auch hier wieder die Erziehung ihnen ein Bild von sich beigebracht hat, das einfach heißt: ich bin lieb. Ich bin sanft. Ich bin überhaupt zu keiner Aggression fähig, und ich kann eigentlich nur dasitzen und weinen, wenn mir was nicht paßt. Und dann sind alle so unheimlich erschüttert, daß sie schnell mit einem Taschentuch kommen und mich fragen, was mir fehlt, und dann helfen sie mir. Und wir haben ja nun alle die Erfahrung gemacht, daß Weinen etwas ist, das Männer wirklich rührt. Aber nur dann, wenn es ihnen nützt. Tatsächlich ist es etwas, was sie nur nervt. Und im Zweifelsfall bringt es einen nur in die Ecke und sonst nirgendwo hin. Und wenn du in diesem Leben als Frau etwas willst, dann mußt du dich genauso zur Wehr setzen wie ein Mann; ob du es mit den gleichen Mitteln tust, ist eine individuelle Frage. Ich rede ja jetzt nicht vom Bombenentwickeln und Bombenschmeißen. Das Radikale an Dea ist, daß sie vielleicht etwas begriffen hat: wenn es nun schon sein muß, daß ich getrennt werde, dann muß diese Trennung so sein, daß sie endgültig ist. Und endgültig in diesem Leben ist nur der Tod. Alles andere läßt sich in irgendeiner Form einrenken. Für mich ist der Film nach wie vor das einzige Medium neben der Literatur, in dem du ungestraft radikal sein kannst, weil jeder soviel Kinoerfahrung hat, daß er weiß: dieser Tod, der mir hier vorgeführt wird, ist ein fiktiver, kein realer. So wie sich auch ein Kind den Tod der Eltern herbeiträumt und diese ja nicht wirklich umbringt. Dadurch, daß sie es träumt, bringt die Dea ihren Mann, die Kinder und ihre Rivalin wirklich um. Man muß den Mut haben, sich das, was man sich wünscht, auch wirklich vorzustellen. Und wenn man eine solche Wut hat auf den Mann, der einen verläßt, daß man wollte, er wäre tot, dann soll man sich ihn doch gefälligst in allen Variationen, die einem einfallen, tot träumen. Es hilft. Wenn man den Frauen immer wieder sagt, sie hätten keine Aggressionen, dann sagt man ihnen auf eine sehr merkwürdige Weise eigentlich, daß sie nicht lebensfähig sind. Man muß aggressiv werden in dem Moment, wo es darum geht: sind deine Interessen wichtiger als meine? Und habe ich nicht eine ganz genauso starke Lebensberechtigung wie du? 02: Die Entwicklung ist faszinierend, denn sie leistet auf ihre Weise eine produktive Antwort auf den neudeutschen Zeitgeist der Wende. Es könnte ja in der Struktur unserer Träume eine neue Möglichkeit stecken, jenseits vom schlichten Gut und Böse, von Links und Rechts Einfluß auf die Gesellschaft zu gewinnen. Es könnte ja sein, daß wir mit Hilfe des Kinos, das zu träumen versucht, so etwas wie eine Ökologie der Sinne und der Erfahrungen zustande bringen. 03: Der Schlaf der Vernunft von Ula Stöckl (...) ist die subtile Standortbestimmung einer Frau (Ida di Benedetto), aller Frauen: der Kampf von Dea gleich Medea gleich Göttin gegen den Rest der Welt, ihren untreuen Mann, ihre nörgelnde italienische Mama, ihre halbwüchsigen Töchter, gegen mangelnde Solidarität und die ganze pharmazeutische Industrie. 04: Die Aussprache zwischen den beiden, seine zage Zärtlichkeit, sein Zurückweichen, seine Unsicherheit oder Bestimmtheit, ihr Sich-Aufbäumen, ihre stolze Kampfeslust, ihr erotisches Charisma, ihre plötzlich über sie herfallende, vernichtende Trauer, das ist wunderbar menschlich, glaubwürdig, mit hoher innerer Spannung inszeniert und gespielt. 05: Ein mit viel Spannung inszeniertes exemplarisches Stück Geschlechterpsychologie. 06: Sie lernt (...) den vielfachen Tod ihrer Empfindungen, ihres Glaubens, ihrer Sicherheit, ihrer Lust und Liebe lebend überstehen, sie lernt um und kommt vielleicht ohne die Überlieferung aus, daß sich alles an ewigen Werten auszurichten habe. 07: Als Dea ihrem Mann, der neben ihr auf den weißen Laken liegt, die Kehle durchgeschnitten hat, ist nicht klar, ob das Wunsch oder Wirklichkeit ist. 08: Die Darstellung subtiler Unterdrückungsmechanismen zwischen den drei miteinander kontrastierenden Frauengenerationen und die Gestaltung schillernder Widersprüchlichkeit im Verhalten der schönen Hauptfigur verleihen dem Film Offenheit und verschmelzen seine poetischen Schwarz-Weißbilder zu einer magisch hermetischen Kinowelt. 09: Der Schlaf der Vernunft macht es somit keinem leicht, den Männern nicht, denen der Film Anlaß genug sein sollte, das eigene Rollenverhalten zu überdenken, und den Frauen nicht, denen er keinen Anlaß bietet, sich nur als Unterdrückte oder nur als Heldin mißzuverstehen. 10: Ein pessimistisches, emanzipatorisches Planspiel mit rigoroser Moral, rigorosem Gefühl und einer rigorosen Ästhetik umgesetzt: gleichzeitig aber entschlossen persönlich, schwer zugänglich, versponnen und mit archaischem Pathos. 11: Die Qualitäten von Ula Stöckls Film liegen im Sichtbarmachen sehr komplizierter Erfahrungen, obwohl dabei ein Problem aufs andere getürmt wird (...) ein radikaler, brisant aggressiver Film. 12: Unzweifelhaft ist Der Schlaf der Vernunft ein veritables Kino-Stück, das sich tief auf die kontroversen Erfahrungen im bewußt gelebten Leben von Frauen einläßt. 13: Dennoch ist Der Schlaf der Vernunft kein Frauenfilm im gebräuchlichen oder mißverstandenen Sinn, sondern nur insofern, als ihr die Gedanken- und Gefühlswelt der Frau, ihre spezielle Sensibilität, besonders am Herzen liegt. 14: Hier werden dem Zuschauer allerdings auch neue Sehweisen abverlangt, man überläßt ihn nicht einfach unauffälligen, verbrauchten Bildern, man fordert von ihm Reaktion, Aktion. 15: Ula Stöckl hat, wie 1968, aber doch anders, alles riskiert, auch das Mißlingen (...) sie gewinnt da, wo andere spätestens alles verloren hätten, in den Träumen und Visionen am Ende, wenn Medea ihre Töchter tötet. 16: Es ist wahr, das Unglück kommt nicht mehr in der gleichen ursprünglichen Wucht daher, wie in der griechischen Sage, aber die Schmerzen, die es verursacht, sind die gleichen geblieben in ihrer nach außen hin verleugneten Intensität. 17: Was sich da wie ein Stoff für ein waschechtes Melodrama ausnimmt, hat Ula Stöckl in eine kühle Studie darüber verwandelt, wie der Männerwelt zugeschriebene Denk- und daraus resultierende Verhaltensmuster in die gezeigten Frauenbeziehungen hineinreichen und -regieren. 18: Die Verhältnisse unter Frauen sind verwahrlost, solange im Leben aller irgendwo ein Mann regiert - die Töchter halten sich zu Jedermann, die Mutter an einen imaginären Mann, den jeweiligen Heiligen, zu dem sie betet, Dea selbst hat sich Reinhard als den Einen, Einzigen, den Sinn ihres Lebens aufgebaut und ist also gezwungen, gegen die andere Frau loszugehen: Was hat sie mir voraus? Gar nichts, sagt er, denn er nimmt in Wirklichkeit nur eine andere Person ernst: Johannas Vater, seinen Chef, den ehrenvollen Gegner. 19: Gäbe es da nicht eine ganz andere schöne Mörderin. Sie heißt Dea, ist Italienerin und lebt wie Medea in einem fremden Land, das wir das unsere nennen. Ihr Jason verläßt sie einer Johanna wegen, die von seinem Geblüt ist, und ihre Töchter, halbblütig wie Medeas Töchter, sind ihr entfremdet. Diese Frau (Ida di Benedetto) bringt sie alle um: Die Töchter, die Rivalin, die eigene Mutter, sich selbst. Und doch ist es nur ein Traum vom Traum der Mythe, deren Muster sich noch immer erfüllt, weil die Entflechtung nicht gelungen ist. Auch nicht durch den Feminismus, der nur das Problem schärfer benennt und unerträglicher gemacht hat. Dea träumt sich durch den Mord zu einem neuen Leben, das sich nicht erst in der Vernichtung und im Siegen gerechtfertigt findet. 20: Das Generationsproblem, das Aufeinandertreffen der Sprachen und Kulturen und das Versagen der männlichen Medizin vor den Bedürfnissen der Frauen: Themen, die Ula Stöckl zu der Liebesgeschichte in Beziehung setzt. |
Die Verhältnisse unter Frauen sind verwahrlost, solange im Leben aller irgendwo ein Mann regiert - die Töchter halten sich zu Jedermann, die Mutter an einen imaginären Mann, den jeweiligen Heiligen, zu dem sie betet, Dea selbst hat sich Reinhard als den Einen, Einzigen, den Sinn ihres Lebens aufgebaut und ist also gezwungen, gegen die andere Frau loszugehen: Was hat sie mir voraus? Gar nichts, sagt er, denn er nimmt in Wirklichkeit nur eine andere Person ernst: Johannas Vater, seinen Chef, den ehrenvollen Gegner. Pieke Biermann, Tip Magazin, März 1984 Weitere Filme: |
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